Carl Friedrich Günther Ruprecht – vom einfachen Lehrling zum Verleger
16 February 2020
Vandenhoeck & Ruprecht wird nun bereits seit über 230 Jahren von der Familie Ruprecht geführt – aktuell zwar nicht mehr in der unmittelbaren Geschäftsführung, aber als Gesellschafter dennoch weiterhin allgegenwärtig.
Tatsächlich wäre es wohl ohne Carl Friedrich Günther Ruprecht so gekommen, dass heute nicht nur das »Ruprecht« im Verlagsnamen fehlen dürfte, sondern das gesamte Vermächtnis des Gründers Abraham Vandenhoeck in der frühen Geschichte der Universitätsstadt versunken wäre.
Wurzeln in Thüringen und Sachsen
Carl Friedrich Günther Ruprecht wurde am 6. Januar 1730 in Schleusingen bei Suhl geboren und entstammte einer Familie, die bis ins 17. Jahrhundert hinein in Bautzen ansässig gewesen war. Diverse Vorfahren waren dort als Stadträte oder Bürgermeister tätig. Sein Vater Johann Daniel Ruprecht hingegen war Regierungsadvokat.
Ruprecht besuchte das Gymnasium zu Schleusingen und schien dieses auch abgeschlossen zu haben, da er mit dem verhältnismäßig hohen Alter von 18 Jahren im Januar 1748 in die Lehre bei Abraham Vandenhoeck ging. Höchstwahrscheinlich war der Grund für die Übersiedlung nach Göttingen Johann Andreas Segner, Professor der Medizin und Physik, Prorektor der noch jungen Universität und ein Verwandter der Ruprechts. Mit diesem wurde auch der Lehrvertrag geschlossen und Segner verpflichtete sich, dem Lehrling Kost, Kleidung und Wäsche zur Verfügung zu stellen. Wohnung bezog Carl Ruprecht aber auf Wunsch Abrahams bei den Vandenhoecks.
Die Witwe und der Lehrling
Nur zwei Jahre später starb Abraham Vandenhoeck. Seine Witwe entschied sich, den Verlag gegen alle Widrigkeiten weiterzuführen und fand in dem 21-Jährigen Carl einen loyalen Mitstreiter. Nach eigener Aussage übernahm er bereits zu diesem Zeitpunkt weitreichende Verantwortung für das Verlagsgeschäft.
Die nächsten Jahre waren schwer für Göttingen. Der Siebenjährige Krieg war ausgebrochen und seit Juli 1757 besetzten französischen Truppen immer wieder temporär die Stadt, bis Göttingen 1760 schließlich längerfristig durch eine feste Besatzung drangsaliert wurde. Wie sehr das Geschäft des Verlages zu leiden hatte, ist unklar, aber wahrscheinlich hielten sich die Verluste durch die Anbindung an die Universität noch in Grenzen. Trotz des Studentenschwunds in Kriegszeiten litt die Georgia-Augusta wesentlich weniger an den Folgen der Besatzung als die Stadt, die für Verpflegung und Unterkunft der Soldaten aufzukommen hatte. Erst im August 1762 zogen die Franzosen schließlich aus der wirtschaftlich arg in Mitleidenschaft gezogenen Stadt wieder ab.
Dass die Verlagsgeschäfte auch trotz des Krieges weiterliefen, bezeugen die Briefe, die Carl Ruprecht 1758 an seine Gönnerin Anna Vandenhoeck von der Buchmesse in Leipzig schickte.
Als schließlich Frieden einkehrte, stiegen die Studentenzahlen der Universität rasch wieder und auch der Verlag erlebte einen Aufschwung. Zwar hatte man seit 1764 mit der Konkurrenz durch die neu angesiedelte Buchhandlung und Druckerei Dieterich zu kämpfen, doch schloss man sich nach anfänglichen Reibereien sogar ab 1772 gemeinsam gegen die Konkurrenz Wiener Nachdrucker zusammen.
Carl Ruprecht erwies sich in diesen Jahren als fähiger Geschäftsführer und wurde scheinbar sehr von der Witwe Vandenhoeck geschätzt. Auch wenn keine lobenden oder besonders zugeneigten Worte von ihr überliefert sind, rechnete Ruprecht wohl schon lange mit einer großzügigen Erbschaft im falle ihres Ablebens.
Ein schweres Erbe
1787 verstarb Anna Vandenhoeck schließlich im Alter von 78 Jahren und vermachte in der Tat den Verlag und eine nicht geringe Summe Geld ihrem ehemaligen Lehrling, allerdings nicht ohne Bedingungen. Genau zu jenem Zeitpunkt hätte die Geschichte eine gänzlich andere Wendung nehmen können.
Anna Vandenhoeck, die enge Beziehungen zur Reformierten Kirche pflegte, hatte eben jene und außerdem die Professoren-Witwenkasse der Universität zu Erben im Falle eines Aussterbens der direkten Ruprechtlinie erklärt. Da Carl Ruprecht bereits 57 Jahre alt, aber dennoch ledig war, schien es in ihren Augen wahrscheinlich geradezu sicher, dass dieser Fall sogar bald eintreten würde.
Es war womöglich dieser Gedanke, der dazu führte, dass die ebenfalls per Testament festgelegten Neubauten, die Carl Ruprecht alsbald würde in Gang setzen müssen, unter kirchlicher Aufsicht stattfinden sollten. Sowohl dem Vertreter der Kirche als auch dem Bausachverständigen für den Neubau wurde durch die Verstorbene außerdem das Recht eingeräumt, die Geschäftsunterlagen der verlagseigenen Buchhandlung jederzeit auf ihre Korrektheit prüfen zu dürfen.
Die Aussicht auf eine derartig erschwerte Geschäftsführung, die sich womöglich noch auf die kommenden Generationen der Ruprechts auswirken würde, löste bei Carl Ruprecht starke Zweifel darüber aus, ob es überhaupt noch sinnvoll war, das Erbe überhaupt anzutreten.
Er entschied sich, alles auf eine Karte zu setzen und sich seine Freiheit als Geschäftsführer teuer zu erkaufen. Befürwortet durch eine Kommission der Universität, bot er Kirche und Witwenkasse einen Vergleich an. Mit einer Zahlung von 20.000 Talern wollte er sich seine Autonomie sichern. Am Ende wurden es sogar 30.000, die er auf Drängen der Kirche aus der Erbmasse zu zahlen hatte. Dafür bekam der Verlag seinen heutigen Namen: Vandenhoeck & Ruprecht. Es wurde zudem festgelegt, dass der Name des Gründers auch im Falle eines späteren Verkaufs unangetastet bliebe, während der Name »Ruprecht« dann durch den Namen des neuen Besitzers zu ersetzen wäre.
Carl Ruprecht musste schließlich Kredite aufnehmen, da durch den Vergleich das Grundkapital stark geschmälert worden war. Erst ungefähr 40 Jahre später konnte die Schuld durch seinen Sohn Carl August Adolf vollständig getilgt werden.
Liebe im hohen Alter
Tatsächlich heiratete Carl Ruprecht nur wenige Monate später und wurde in den folgenden Jahren Vater zweier Kinder. Seine Frau hatte er auf dem Weg zur Leipziger Buchmesse kennengelernt, als er in Weimar übernachtete. Dorothea Heintze war mit 33 Jahren deutlich jünger als Ruprecht, aber auch bereits ungewöhnlich alt für eine erste Ehe. Er hielt bereits vor seiner Weiterreise bei Dorotheas Vater, dem örtlichen Gymnasialdirektor, um ihre Hand an. Die Trauung folgte am 31. Juli und wurde von Johann Gottfried Herder vollzogen, der ein enger Freund des Schwiegervaters war.
Carl Ruprechts Nachfahre Wilhelm Ruprecht vermutete 1935 in seinem Buch zum 200-jährigen Bestehen des Verlages, dass die rasche Hochzeit nach dem Tode Annas ein Anzeichen dafür sei, dass Anna Vandenhoeck den jüngeren Ruprecht so in Beschlag genommen hatte, dass einfach kein Raum für eine eigene Familiengründung geblieben sei. Zwar sei keine Liebesbeziehung zwischen den beiden nachweisbar, wie vielleicht einige Menschen vermuteten, aber zumindest mütterliche Eifersuchtsgefühle könnten laut Wilhelm Ruprecht eine ähnlich einschränkende Wirkung auf Ruprechts Leben gehabt haben. Tatsächlich zahlte die Witwe ihrem Geschäftsführer wohl ein eher niedriges Gehalt und er konnte erst durch das Erbe einen eigenen Haushalt gründen, was er dann auch umgehend tat.
1788 bekam das Ehepaar Ruprecht eine Tochter, Marianne, und drei weitere Jahre später den ersehnten Erben Carl II.
Unter den Preußen und Franzosen – die letzten Lebensjahre
Die letzten Lebensjahre Carl Ruprechts waren wiederum vom Krieg geprägt. Im Zuge der Koalitionskriege wurde das Königreich Hannover seit 1801 erst abwechselnd von Preußen und Frankreich besetzt und letztendlich zu großen Teilen dem neu geschaffenen Königreich Westfalen zugeschlagen. Seit 1806 war der Absatz an Büchern bekanntlich zurückgegangen, aber inwiefern die Situation dem Verlag wirklich schadete, ist unklar. Die Zahl der Verlage in Göttingen war in diesen Jahren allerdings sogar weiter gestiegen und trotzdem überstanden alle die Wirren der Zeit ziemlich gut. Tatsächlich war dies wohl König Jerome zu verdanken, der alles daransetzte, die Universität in ihrer Blüte zu erhalten. Ludwig Ruprecht (*1825), einer von Carl Ruprechts Enkeln, schrieb dazu, dass man die westfälische Zeit als sehr positiv empfunden habe, da sie bürgerliche Rechte der Revolution mitbrachte und gleichzeitig die Korruption beseitigte, die besonders unter den preußischen Besatzern geherrscht hatte.
Dorothea war bereits im Jahr 1800 an einem Halsleiden gestorben, so dass Carls Schwester die Erziehung übernahm. Sie hatte ebenfalls ihren Ehemann verloren und lebte schon einige Zeit in Göttingen. Marianne heiratete 1805 ihren vormaligen Hauslehrer, den Theologen Justus Danckwerts, der dann als Compagnon die Geschäfte der Buchhandlung übernahm. 1812 zog sich der alte Ruprecht aus dem Geschäftsleben zurück und übergab sein Vermögen seinen Kindern. Er behielt für sich eine Leibrente von 600 Talern und eine Stube mit Kammer im alten Wohnhaus, ausgestattet mit dem Notwendigsten an Mobiliar. Am 17. Mai 1816 starb Carl Ruprecht Senior im Alter von 86 Jahren und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte.