ENDET DIE PHILOSOPHIE? Q&A ZUM BUCH ‘BEDEUTUNGSPERMANENZ’ VON SEINER AUTORIN
05.03.2025
Neues BUCH in PHILOSOPHY
Beatrice Sasha Kobow, "Bedeutungspermanenz", (Brill | mentis 2024)
Laut Wendy Brown leben wir in nihilistischen Zeiten. Keine (junge) Generation habe sich so um das eigene Vorankommen bemühen müssen vor einer derart drohenden Kulisse einer langfristig katastrophischen Zukunft. Mit meinen Studierenden an der PLUS veranstaltete ich gerade auf dem Höhepunkt der Covid-Pandemie ein Seminar mit dem Titel ‘Whose Lives Matter?’, bei dem es um die Probleme ging, die die Studierenden ins Seminar mitbrachten, aber auch um eine allgemeine disziplinäre Selbstbefragung, denn die Frage ‘Wer zählt?’ stellt sich in der Philosophie als die Frage danach, wer mit am Tisch der sich selbst als egalitär verstehenden Philosophie sitzen darf. Diese Frage ist der Ausgangspunkt meines Buches und in diesem Sinn hat das Buch etwas mit Feminismus zu tun. Meine Kollegin Ásta fragt so in einem kurzen Aufsatz “To Do Metaphysics as a Feminist”, der mir gut gefällt. Ihre Vermutung, dass die Antwort etwas mit der Rechenschaftspflicht zu tun hat, die wir den Gemeinschaften, für die und in denen wir als Philosophierende sprechen, ist Teil auch meiner Antwort. Diese formuliere ich mit Hilfe von Apels ‘Paradigmen einer Ersten Philosphie’. Ich lege Apels drittem Paradigma dann die kantschen Daumenschrauben an, so dass unsere Teilnahme am Diskurs zu unserer ‘sittlichen Pflicht’ wird. Die Kapitel meines Buches sind lose an Kants vier Fragen: Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? Was soll ich tun? Was ist der Mensch? orientiert. Diese möchte ich aber im Plural stellen: Was können wir wissen? Was dürfen wir hoffen? Was sollen wir tun? Und: Wer sind wir Menschen?
Mein Text steht im Dialog mit vielen verschiedenen Quellen. Das ist sein Bauprinzip. Meine Arbeit zur Bedeutungspermanenz greift also selbst Momente der Bedeutung aus dem Kanon heraus und bearbeitet sie. Philosophieren können wir nur im Dialog und dabei müssen wir verschiedene Standpunkte einbeziehen, denn das Bild der Wahrheit besteht aus diesen vielen verschiedenen Beiträgen, die uns synchron, d.h. auf einer Zeitebene, aber auch diachron, d.h. über verschiedene Zeiten hinweg, mit anderen Sprechenden verbinden.
BRAUCHEN WIR BEDEUTUNGSPERMANENZ?
Ich habe beim Schreiben des Buches begonnen, mich immer mehr für Nachhaltigkeit als Thema der Philosophie zu interessieren. Darüber wird mein nächstes Buch handeln. Das Vorwort, also das, was die Autorin immer als letztes schreibt, zeugt davon. Hier zitiere ich Lovelocks neues Vorwort von 2016 zur Neuauflage seines bereits 1979 erschienenen Buches ‘Gaia’, der meint, das unser Leben auf dem Planeten nicht nur Abfälle wie CO2 produziere, sondern eben auch geistige Abfälle, wie z.B. bestimmte Begriffe oder Ideen.
Begriffe und Ideen sind in diesem Sinn eine ‘Altlast’ oder Abfallprodukt eines historischen Moments, mit dem wir aber umgehen müssen. Das kann man jedoch auch positiv wenden und das versuche ich. Bedeutungen sind permanent, sie dauern an und darum können wir überhaupt in einen Raum der Bedeutungen eintreten, an dem wir uns mit anderen über diese Bedeutungen austauschen können. Nietzsche hat ja gesagt, dass der einsame raubtierhafte Mensch keine Innerlichkeit, keine Sprache (und darum auch kein Selbstbewusstsein) als Verbindungsnetzt von Mensch zu Mensch gebraucht hätte. Er war, wie auch Wittgenstein, ein Kulturpessimist und ein Bedeutungszertrümmerer (ein ‘Debunker’ könnte man auf Englisch vielleicht sagen). Gerade, dass wir Sprache haben, macht uns zu Wesen, die keine einzelgängerischen Raubtiere sein müssen. Statt dessen sind wir eine Spezies, die die nächste Generation, die ‘Jungen’, gemeinsam aufziehen, indem wir sie mit Bedeutungen füttern und ihnen beibringen, wie sie Bedeutungen bewahren, verändern, erschaffen. Das machen wir alle gemeinsam. Und die Philosoph:innen sind für die Vermittlung des Wissens über diese Begrifflichkeit zuständig.
Der Begriff ‘Bedeutungspermanenz’ benennt für mich einen Kern verschiedener philosophischer Anliegen, die im 20. Jahrhundert, im Ausgang aus den dominierenden Bewegungen der Phänomenologie, des Pragmatismus und der analytischen Philosophie, also zu einem postpostkritischen Zeitpunkt, wichtig werden. Diese Anliegen fragen z.B. nach der Rolle der Wissenschaften und nach dem Sinn der Bedeutung (à la Frege), nach den Standpunkten des Wissens vis-a-vis der Einheit von Wahrheit und nach der Einheit von Wahrheit und Geist im 21. Jahrhundert, auch nach den Sorgen des Feminismus, d.i. sie sind Fragen einer nicht-idealen Sozialontologie.
Die Familienähnlichkeit dieser Anliegen besteht darin, dass über ein Fragen nach der Konstitution und der Beständigkeit von Bedeutungen weitergedacht werden können. Sie können natürlich auch zusammengedacht werden. Das halte ich für den Beitrag, den meine Skizzen zu diesen Themen leisten mögen.
(WO) ENDET DIE PHILOSOPHIE?
Es gibt ein Buch von Fischli und Weiss (den Kunstaufräumern) mit dem Titel: Findet mich das Glück? In Anlehnung daran lese ich meine eigene Frage: Endet die Philosophie? Sie klingt lustig und ein wenig absurd. Dabei geht es der Philosophie sehr oft (in der postkritischen Philosophie: fast immer) um ihr eigenes Aufhören. Das hat manchmal gute Gründe, feministische z.B.: Beginnt doch die Philosophie ab initio als exklusives Unterfangen, ähnlich wie die attische Demokratie, als ‘Club der reichen, alten Griechen’. Frauen, junge Leute, Lohnarbeitende, Fremde sind ausgeschlossen. Diese Ausgeschlossenen ermöglichen aber mit ihrer Arbeit im Oikos die Freizeit und Freiheit, die die Philosophen zum Nachdenken brauchen. Sollten wir darum die Philosophie, die Demokratie gleich aufgeben? Sicher, sagen dann vielleicht die Feminist:innen, weil es in der Philosophie ja von vorn herein nicht um unsere wirklichen, d.i. weltliche Sorgen und Belange ging, (sondern um abstrakte kosmische Formen). Diese Themen, z.B. Arbeit, Liebe, Erziehung, politische Gleichberechtigung, sind schon lange in der Philosophie angenommen worden. Die Philosophie ist weitergekommen. Andererseits wurde die Auflösung der Philosophie hin zum Aktivismus eine Zeit lang im Feminismus gefordert. Weniger reden, mehr tun! (Aber owaga: Auch Denken ist Tun.) Und auch in der klassischen Traditionen der Philosophie im 20. Jahrhundert, der phänomenologischen oder analytischen Philosophie gibt es Tendenzen, die Philosophie als Platzhalterin für Wissenschaft zu verstehen. Wenn wir genauere Wissenschaften haben (z.B. Psychologie, wie Husserl meint), dann hört ‘die Philosophie’ auf. Verschiedene Bewegungen in der Philosophie gehen also von einem Aufhören der Philosophie (als Disziplin) aus. Letztens kann man auch meinen, dass das, was uns einleuchtet, nur von den Philosophen auf den Weg gebracht werden kann; dass wirkliches Erkennen ein Transzendieren des philosophischen Textes beinhaltet. Das Ende der Philosophie ist dann auch ihr Ziel. Mir geht es manchmal so, dass mir in einem Gespräch plötzlich etwas klar wird. Natürlich kann jedoch auch das Lesen von Texten ein solches Gespräch sein.
Ich glaube nicht, dass wir je aufhören werden, zu philosophieren: Philosophieren ist das Sprachspiel des Zweifelns. Es ist sehr wichtig für uns, weil es uns in unserem Prozess der Befestigung einer Wirklichkeit hilft, die uns Welt werden kann, wie wir mit Hannah Arendt sagen könnten. D.h. wir schaffen im Nachdenken, im Durchdenken, gemeinsam eine gemeinsame Welt, die Beständigkeit hat und die so auch kulturelle Evolution ermöglicht.
Und wo beginnt die Philosophie? Weder mit Adam (als biblisch-historischem Beginn) oder mit Thales (als philosophischem Beginn), beide streben ja nach Erkenntnis, auch nicht mit der Thrakischen Magd (die über Thales lacht) und nicht mit Eva (die sieht, dass der Apfel der Erkenntnis Lust macht zum Hineinbeissen), sondern mit Ihnen mit mir. Sie beginnt immer aufs Neue.
SIND BEDEUTUNGEN GEWALTSAM?
Natürlich tun uns Bedeutungen Gewalt an: Sie / wir formen uns / sie. Sie fesseln, wir befreien uns. Das geschriebene Wort, der Kanon, ist ein Gefängnis, aus dem wir immer erneut ausgehen wie aus unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit. Denn das Archiv ist zugleich auch der Ort unserer Möglichkeiten.
WERFEN SIE WIE EIN MÄDCHEN, FRAU KOBOW?
Der Text ‘Throwing like a Girl’ von Iris Marion Young hat zuletzt meine Studierenden begeistert. Young hat recht, obwohl ihr Text etwas anachronistisch wirkt: der ‘doppelte’ Standpunkt der Person, die ein ‘man kann’, aber zugleich ein ‘aber ich kann nicht’ wahrnimmt, hilft uns zur Aufklärung von Ungleichheiten. Young gibt uns die Definition von Nicht-Gleichberechtigung par excellence an die Hand. Wir brauchen diesen Standpunkt, um Ungleichheiten erkennen zu können.
Mein Buch ist kein Text über den Feminismus, d.h. er ist keine einordnende, ideengeschichtliche Aufarbeitung feministischer Positionen und auch keine Exegese oder Studie einzelner Autor:innen der feministischen Tradition. Es kommen verschiedene kanonische Stimmen zu Wort, etwas Audre Lorde oder Vigdis Songe-Møller. Natürlich verdankt der Text Hannah Arendt viel, obwohl ich ihr Prinzip der Natalität hier nicht so sehr ins Zentrum rücke. Mein Text ist viel eher von einem feministischen Standpunkt aus geschrieben, denn ich gehe von der Frage aus, welche Verantwortung wir für Bedeutungen übernehmen müssen, und das ist, glaube ich, eine Frage nach der (gleichen) Berechtigung der Positionen in unserem Diskurs.
Ich glaube, dass wir uns jetzt wieder in einer Zeit der Rückschritte, weg von der Gleichberechtigung z.B. der Geschlechter, befinden. Verschiedene Beiträge zur gegenwärtigen Mainstream-Kultur geben sich feministisch (der Film ‘Barbie’ z.B.) und ihre Autorinnen mögen auch Feministinnen sein, aber das, was ich als Zuschauerin diesen Werken entnehme, ist eine Instrumentalisierung des Feminismus für andere (natürlich u.a. auch monetäre) Zwecke. Damit werden dem Feminismus die Zähne gezogen. Das Ziel ist seine Verharmlosung. Wenn wir aber Teilhabe am Diskurs und Gleichberechtigung und Rechenschaft für das Handeln (in die Zukunft) für die zukünftigen Generationen einfordern, dann ist das definitiv nicht harmlos.
WAS IST DER MENSCH IM ZEITALTER DER KI?
Mein Beitrag zu einer kritischen Sozialontologie fällt, denke ich, mit einer neuen philosophischen Anthropologie zusammen. Es gibt gerade wieder viel Interesse an einer solchen Anthropologie. Denken Sie z.b. an den Erfolg von Juval Hararis Ideen. Zur Zeit lese ich ein Buch von Gaston Soublette über das gleiche Thema: die Menschwerdung und die Veränderungen, die Ackerbau und Sesshaftigkeit bringen. Meine Antwort ist im Vergleich zu Harari wertebezogen, aber vielleicht nicht so kulturpessimistisch wie Soublette. Wir können nicht ins Paradies zurück. Aber künstliche Welten, oder das Leben im All sind keine Alternative zu unserem Leben auf der Erde.
Ich stelle Kants Frage ‘Was ist der Mensch?’ von einer kollektiven Perspektive des Menschseins aus: Wer sind wir Menschen? Unser Leben ist biologisch konstituiert, es endet mit dem Tod und beginnt mit der Geburt. Es vollzieht sich im Dialog der Generationen. Unser neustes Werkzeug, die KI, ist eine Herausforderung für unser Selbstverständnis als Sinn-Hersteller. Das Kunstwerk musste im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit neu situiert werden. Was Bedeutung ist fragt sich anders im Zeitalter der künstlichen ‘Autoren’. Und natürlich auch, wer wir als Autor:innen und Leser:innen von Texten in diesem Zeitalter sind.
Manchmal zweifle ich an meiner Rolle als akademische Lehrerin, wenn ich meine Prüfungsfragen ChatGPT vorlege und eine großartige Antwort wird innerhalb von wenigen Sekunden generiert. Dann denke ich: Warum sollen sich die Studierenden nicht dieses Hilfsmittels bedienen? Warum sollen sie sich so abmühen mit eigenen Formulierungen? Meine Studierenden müssen immer recht viel schreiben. Ich möchte, dass sie eine eigene philosophische Stimme finden. Darum stelle ich meine Fragen an sie möglichst so, dass sie eine eigene Positionierung erfordern.
Wir brauchen die Vielfalt der Standpunkte, um Sinn zu garantieren, d.h. um Wahrheit formulieren zu können. Die von unserem Geist (unseren mentalen intentionalen Zuständen) abhängige Intentionalität externer Speicher und Tools (z.B. Texten oder AI), kann die Permanenz von Bedeutungen nicht garantieren; diese bedarf der beständigen Erneuerung des Verstehens. Die Antworten auf Ihre Fragen habe ich übrigens absichtlich so formuliert, dass kein AI der Welt sie so geschrieben hätte.
Ein akademischer Lehrer von mir mahnte mich einmal, dass nicht alles, was mir lieb und teuer sei, in meine Qualifikationsarbeit eingehen könne. Bei meinem Buch ‘Bedeutungspermanenz’ habe ich diese Mahnung in den Wind geschlagen. Alles, was mir lieb und teuer ist, ist drin. Und Sie, liebes Publikum, dürfen selbst entscheiden, anhand welcher Bilder und Gedanken meines Textes Sie Ihren eigenen Standpunkt formulieren. Ich wünsche Ihnen viel Freude dabei und natürlich freue ich mich, wenn Sie mir antworten. Denn vergessen Sie nicht: wir alle sitzen gemeinsam am Tisch der Philosoph:innen!
