Impuls O – Optimismus: Der Pessimismus im Handeln (C.O.R.O.N.A. 10/20)

    30 August 2021

Christa H. Herold »Lösungsfokussierte Beratung: Ein Fünf-Bausteine-Modell«, (Vandenhoeck & Ruprecht 2021)

1. Impuls C – CHANCE
2. Impuls O – ORDNUNG
3. Impuls R – RESILIENZ
4. Impuls O – OPTIMISMUS
5. Impuls N – NACHHALTIGKEIT
6. Impuls A – ALTERNATIVEN

Noch einmal zur Erinnerung, bezogen auf die Ganzheit von Körper, Seele und Geist gilt: Was ich auf der einen Ebene nicht gut beachte oder vernachlässige, zeigt sich umso mehr oder stärker auf einer anderen Ebene in ihrer spezifischen Sprache. In schwierigen, belastenden Situationen oder vor Entscheidungen, die zu treffen wären, aber nichts passiert, bekommt man auf einmal vermehrt Nacken- und Schulterschmerzen, das Knie macht nicht mehr mit oder der Kopf tut weh, als ob man einen Ring aufgesetzt bekommen hätte. Der Körper ist ein stiller, aber auch stetig verbundener Mitarbeiter. Er redet mit seinen deutlichen und spezifischen Hinweisen „in seiner Sprache“, das übersetzt hieße: „Das macht mir Druck!“ oder „Da will ich nicht hingehen oder mich hinbewegen oder hindenken.“
In einer Krise oder einer unglaublich belastenden und teils unerträglichen persönlichen, familiären oder beruflichen Situation wird für manchen Menschen, wenn er keine andere Option für einen alternativen und angemessenen Umgang damit hat, entweder die Flucht nach innen als Rückzug oder nach außen als Angriff und Kampf angetreten. Hierbei wird so manches Gefühl nicht der eigenen Empfindung zugeschrieben, sondern einem anderen übergestülpt, der daran schuld sei. Dadurch entlastet man sich selbst von dem Druck, selbst etwas tun oder lassen zu müssen.
Dieser Mix bestimmt in seiner Endversion als geschnürtes Paket das Handeln mit seinen negativen Auswirkungen.

Das Handeln
Ein kleiner Ausflug in die Biologie und eine Übertragung darüber hinaus kann das Thema zusätzlichen unterfüttern und verdeutlichen.

Ein kreatives Beispiel für Parallelen von der Biologie hin zur Psychologie
Alsdann platzten in dieser Covid-19-Krise nicht nur die Wirtszellen mit den Corona-Viren auf. Nein, da tun sich in einer Metapher tatsächlich noch andere „Trittbrettfahrer“ auf. Diese nahmen Besitz von dem Raum zwischen den Zellen und Geweben des Körpers und waren bisher noch mit ihrer anderen und „speziellen DNA“ verkapselt. Darin war all das emotional Unerledigte, das Verbitterte und das Verletzte abgespeichert. Weniger aus der Jetztzeit, sondern eher aus grauer Vorzeit mit endlos langen Bärten mitsamt ihren – bewussten oder unbewussten über die Jahre hinweg – aktiv von seinem Träger gepflegten und genährten Kränkungen.

Jetzt in dieser vielerorts gereizten und dünnhäutig gewordenen Zeit bedürfen diese nur eines sanften oder auch ungewollt leichten Antippens, schon sind diese „Schläfer“-Zellen zum Platzen gebracht. Im übertragenen Sinne reichte oftmals eine kleine Aussage aus, in der die eigene durch den Lockdown bedingte persönlich schwierige Situation – mit den harten finanziellen Fakten und Tatsachen und dessen Konsequenzen – mit der Situation des Gegenübers verglichen wurde, die bis auf die Einkaufs- und Urlaubsbeschränkungen von der Pandemie und ihren Auswirkungen faktisch unberührt geblieben war.
Aufgrund dieser – letztlich doch falschen – Annahme von dessen Nicht-so-belastet-Seins (ganz anderer Art) lässt die Reaktion nicht lange auf sich warten: sie gleicht nicht gerade einem Urlaub auf einem Ponyhof. Wer sucht, der findet und wer eine Nivellierung heraushören will, wird sie auch finden.

Worauf beruhen dieses Missverständnis und falsche Verstehen? Nun, auch der andere fühlt sich verkannt in der persönlich empfundenen Schwere seiner Lebenswelt, die sich wohl in anderen Bereichen seines Lebens zeigte als bei derjenigen Person, die ihm das Nicht-so-belastet-Sein unterstellt. Die falsche Annahme mitsamt einer unklaren Kommunikation setzt bislang Schwelendes in Gang und am Ende lodert das Feuer hell.
Man könnte es auch mit einem Schneeball vergleichen, der sich bergab geworfen durch die Schneefelder in Windeseile rollend zu einer Lawine entwickelt. In unserem Beispiel wächst diese Pseudolawine mit ihren Empfindungen, Verletzungen und Kränkungen in einer unglaublichen Geschwindigkeit unaufhaltsam und stetig an, streift alle am Rande liegenden „jahrzehntealten Sträucher“ mit ihren Geschichten sowie auch das „trockene und verdorrte Gestrüpp“. Der nunmehr pappige Schnee von tiefergelegenen Gebieten nimmt in sich auch noch das darunterliegende Geröll – die hochemotionalen verhärteten Elemente – mit auf. Der unvorhersehbare Schaden ist in einer nicht aufzuhaltenden Geschwindigkeit passiert.
Die Milch ist ausgeschüttet und kann nicht mehr in das ursprüngliche Gefäß zurückgeführt werden. Wie auch? Das Ganze war in dieser dramatischen und hochexplosiven Reaktion eben nicht erwartbar.
Dieselbe Aussage bezüglich des Lockdowns und seiner beruflichen und geschäftlichen Konsequenz wurde von dem Betroffenen – nur so als Testballon, ob er etwas falsch einschätzen und ausdrücken würde – auch gegenüber von diesem nicht direkt betroffenen Freunden geäußert. Und wie reagierten sie? Lapidar und beifällig äußerten sie: „Da hast du recht!“

Was macht also den Unterschied im Handeln aus?
Die Interpretation dieser – scheinbar so unverfänglich gemachten – Aussage und die auf der Lauer liegende Aufmerksamkeit des Gegenübers, um einen verwertbaren Fehltritt des anderen herauszufiltern, liefern indessen den Anlass und die Möglichkeit dafür, jetzt endlich loslegen zu können mit:„Was ich dir immer schon mal sagen wollte …!“ oder von „schon lange in der Backröhre gebratenen“ Vorwürfen und Vorhaltungen.
War diese Strategie von langer Hand gehegt, gepflegt und vorbereitet worden? Fehlte einfach nur der richtige Zeitpunkt, das Antippen einer Zelle oder der Aufhänger für einen radikalen emotionalen Ausbruch, der diesen in seiner nunmehr sich gestattenden Kontrolllosigkeit rechtfertigte? Und das, ohne den anderen in seiner Version anzuhören, ohne dem anderen eine Möglichkeit zu geben, zu intervenieren oder seine Sicht der Dinge darstellen zu dürfen.
So kann es passieren, dass von vornherein Vorgaben und ein radikaler feststehender Beschluss für die Form einer etwaigen nächsten Begegnung als einer „Debatte“ einseitig festgelegt werden mitsamt der Prämisse, dass sich der andere „einer knallharten Kritik gewachsen sehen sollte“.

Mit einem ironischen Unterton könnte man auch die Frage stellen: Werden zu den gestiegenen Goldpreisen jetzt auch noch eine größere Anzahl virtueller „Goldwaagen“ in Umlauf gebracht?
Es schien die Zeit für jene reif geworden zu sein, die sich schon lange in ihren Startlöchern befunden hatten, endlich eine Berechtigung oder eine Legitimation an die Hand zu bekommen, den anderen ohne Zurückhaltung anzugreifen, herabzusetzen und zu beleidigen – egal und ohne Rücksicht darauf, in welcher Situation sich dieser gerade befindet. Der Tag ist jetzt gekommen, um sein eventuell jahrzehntelang Zurückgehaltenes verquickt mit einem abgrundtiefen (Selbstmit-)Leid in Form einer eiskalten Abrechnung an den Mann oder an die Frau zu bringen. Tor und Tür scheinen weit geöffnet und die Schleusenbretter des Teiches mit all dem abgrundtiefen Dunklen werden zusätzlich herausgezogen, um dieses ganze angestaute negative Depot mit aller Wucht und affektiver Entladung auf das Zielopfer zu richten. Ein weiterer Vergleich ist mit dem mit heißem Pech gefüllten Eimer anzustellen, dessen Inhalt im Mittelalter über den gerade ankommenden und unerwünschten Gast oder Feind aus der Höhe des Eingangs des Stadttores gekübelt wurde. Puh, welch ein Pech!

Was offenbart sich in diesen hässlichen Vorwürfen von diesem Menschen selbst und seinen negativen Denk- und Sichtweisen?
Solches Verhalten lässt eine Kontrolle der Emotionen vermissen. Da ist Wut und Zorn in Reinkultur vereint. Ein rational dazwischen geschalteter Prüfmodus, bezogen auf eine Angemessenheit der Worte und der Anklage gegenüber dem anderen, wird gar nicht zugelassen. Vielleicht will es aber der Absender auch nicht, denn das würde ja vermutlich nur die gewünschte Wirkung und persönliche Entlastung stören.
Hat das mit eigenen Defiziten zu tun wie

  • Angst, Hilflosigkeit und Ohnmacht,
  • unbewältigten Verletzungen, Kränkungen und/oder Erleben von Mobbing,
  • Scheitern, Versagen und Misserfolg,
  • fehlender Anerkennung, mangelndem Respekt und unzureichender Wertschätzung?
     

Ganz zu schweigen davon, den anderen vielleicht auch einmal direkt zu fragen, wie er das gemeint hat und man sich seine Sicht der Dinge anhört, bevor zu radikale und den anderen nunmehr verletzende Reaktionen zugelassen werden.
Jedoch bestünde dann wiederum die Gefahr, dass dessen Antwort auf eine gestellte Frage das eigene Denk- und Emotionsgebäude ein wenig zum Wanken brächte. Das geht natürlich nicht! Oh nein, denn die Überzeugung von sich selbst im Richtig oder Falsch sowie auch von der Überzeugung ihrer wahrheitsgetreuen, realistischen Erinnerung steht unerschütterlich fest:

  • „Ich kann mich sehr gut erinnern, wie das war!“
  • „Das kann ich im Brustton der Überzeugung sehr gut einschätzen, wie das von dir gemeint war!“
  • „Du liegst damit völlig falsch!“
  • „Es ist genau so gewesen, wie ich es gesagt habe. Basta!“
  • „Alles andere ist völlig ausgeschlossen. XY sind auch meiner Meinung!“
  • „Du änderst dich nie, deshalb hat es auch keinen Zweck, weiter zu diskutieren!“
     

Solche persönlich unantastbaren, starren und sturen Denkkonzepte in einem Entweder-oder-Schema mit der unhinterfragten Vorannahme, dass der andere sich sowieso „in seiner Sichtweise nie ändern würde“, verhindern selbstredend jegliches Bemühen für eine gute Klärung. Ja, da treten in aller Deutlichkeit doch mal zwei sehr verschiedene Lebenskonstrukte zutage. (Das ist undiskutierbar und in Stein gemeißelt!)
Das zum Opfer gemachte Gegenüber, das eventuell selbstkritischer und reflektierter durchs Leben geht, sieht sich in Anbetracht solcher entgegengeschleuderten Aussagen völlig perplex reagieren. Wer die innewohnende Energie des anderen nicht richtig einschätzt, ist nicht in der Lage, rechtzeitig zur Seite zu springen. Die geballte Wucht trifft ihn und schleudert ihn an die Wand, dass es ihm den Atem nimmt. Wow! Gott sei Dank, wenigstens noch dem Todesstoß entronnen! 

 

Das Ganze einmal von außen betrachtet:
Wer in dieser Hinsicht der Adressat eines solchen „Paketes“ ist und völlig unerwartet damit konfrontiert wird, kommt vielleicht vom Staunen in ein Entsetzen, weil er in seiner Haltung und Einstellung anders unterwegs ist. Wurde er gar zur Zielscheibe für die Projektion von persönlich unbewältigten Themen des Absenders, die gar nichts mit ihm zu tun hatten? War er nur zufällig oder gezielt als „Bauernopfer“ ausgewählt worden, damit dieser nun in seiner Stresssituation mit gezielten, strategischen Mitteln einen Kampf mit ihm herausfordern konnte? Damit verbunden eine Rechtfertigung für persönliches Abreagieren mit Negativität, Herabsetzung und Bosheit im Handeln, um seine vergifteten Pfeile auf ihn abzuschießen. Schnell kann es passieren, dass der Empfänger des „Paketes“ selbst in den Strudel dieses Gefühls-Chaos hineingezogen wird.
Es stellen sich die Fragen:

  • Nehme ich dieses „Paket“ nun an oder verweigere ich es?
  • Wie verhalte ich mich nach dieser Aussage, diesem Vorwurf und diesem Missverständnis?“
  • Können wir das irgendwie miteinander klären?
  • Ist das Gegenüber bereit, mit mir auf einer respektvollen Basis zu reden?
     

Die unterschiedlichen Wünsche könnten sich in der Kommunikation als schwierig und sehr mühevoll dafür erweisen, doch noch auf eine angemessene gemeinsame Basis zu kommen! Für die eine Person ist in der Kommunikation Respekt wichtig, d. h. einander zuzuhören und das Bemühen um gegenseitiges Verständnis – wohl wissend, dass es nicht immer einfach sein wird, Ansichten weit auseinanderdriften können und es harte Arbeit im Miteinander bedeutet.

In der momentanen Situation wird vieles auf die Probe gestellt. Wenn eine Seite oder gar beide innehalten, um die Möglichkeit für eine rechtzeitige Realitätsüberprüfung von Fakten und Aussagen zu nutzen, können Missverständnisse aus dem Weg geräumt werden. Das eigene Verständnis wächst, die eventuelle Interpretation kann abgesichert werden und das Verstehen füreinander lässt eine Annäherung zu.
Dabei steht einem eine Selbstreflexion ebenfalls gut zu Gesicht mit der Frage nach etwaigen „blinden Flecken“, die ich in meinem beschädigten Spiegel bisher nicht gesehen habe:

  • Was schafft die Abweichungen, wie wir uns wahrnehmen und was führt zu den Missverständnissen zwischen uns?
  • Ist das wirklich so von dem anderen gemeint?
  • Stimmt das, so wie es bei mir ankommt?
  • Ist das richtig, wie ich es interpretiere oder bewerte?
  • Was liegt an mir, dass mich der andere nicht oder nur unzureichend versteht?
  • Was habe ich nicht oder unzureichend wahrgenommen?
  • Was ist dran an dem mir vorgeworfenen krassen Fehlverhalten? Und was hat es eventuell auch mit mir zu tun? Was ist mein Teil daran und was nicht?
     

Wer frühere kritische Situationen gut bewältigt und gemanagt hat, kann in diesen Zeiten besser über die Runden kommen. Mit entsprechend systemfreundlicher Haltung und Einstellung sowie einem Pool von erworbenen Fertigkeiten, Ressourcen und hilfreichen Erfahrungen sind ihm diese früheren Erfahrungen jetzt recht nützlich.

 

Christa H. Herold, Psychologische Beraterin, ist in eigener Praxis in der systemisch-lösungsfokussierten Beratung, Therapie und Supervision tätig. Darüber hinaus ist sie geprüfte Schriftpsychologin, Burn-out-Beraterin und zertifizierte Mediatorin.