Autorin Hilde Berger zum Kinostart von "Alma und Oskar"
30.06.2023
Hilde Berger, "Die Windsbraut", (Böhlau 2020)
Am 06.07.2023 startet der Film „Alma und Oskar“ regulär in den deutschen und österreichischen Kinos. Hilde Berger hat die Romanvorlage zum Film verfasst und gemeinsam mit Regisseur Dieter Berner das Drehbuch geschrieben. Hier spricht sie über ihren Roman, die Arbeit am Film und die feministischen Aspekte der Geschichte von Alma Mahler und Oskar Kokoschka.
Können Sie kurz sagen, worum es in der Geschichte von Alma und Oskar geht?
Der Roman „Die Windsbraut“ erzählt von der relativ kurzen aber umso heftigeren Liebesbeziehung der Wiener Gesellschaftsdame Alma Mahler und dem damals noch unbekannten Künstler Oskar Kokoschka.
Wien kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs: Alma ist nun schon ein Jahr lang Witwe des Komponisten und Operndirektors Gustav Mahler, und die Frage, für wen sie sich wohl als künftigen Ehemann entscheiden wird, beschäftigt die gute Gesellschaft der Kaiserstadt. Es gibt einige honorige Anwärter, aber Alma nimmt sich die Freiheit, einen eigenen unkonventionellen Weg zu gehen. Sie bestellt ein Portrait bei einem jungen Maler, bei Oskar Kokoschka, der als enfant terrible der Kunstszene gilt. Sie wird sein Modell, sie führt den sexuell noch Unerfahrenen in die Künste der Liebe ein und sie überlegt sogar, allen gesellschaftlichen Gepflogenheiten zum Trotz ihn zu heiraten. Aber was zu Beginn ein erotisches Abenteuer war, entwickelt sich zum Horror, denn Oskar wird in seiner bedingungslosen Liebe immer besitzergreifender. Als es Alma endlich gelingt, sich aus den Fängen dieser Amour Fou zu lösen, meldet sich Oskar freiwillig zum Einsatz an die russische Front, mit der Absicht dort zu sterben. Ein Leben ohne Alma ist für ihn unvorstellbar.
Meine Recherche zu diesem Roman und zum Drehbuch beruht in erster Linie auf den unzähligen Briefen, die der junge Kokoschka an seine ältere Geliebte schrieb, auf seinen Theaterstücken, für die ihre Beziehung den Stoff lieferte, und auf seinen Zeichnungen und Gemälden, die immer nur Alma darstellten, oder Alma und Oskar.
Würden Sie sagen, dass „Die Windsbraut“, bzw. „Alma und Oskar“ eine feministische Geschichte ist?
Ich möchte Alma selbst zwar nicht eine „Feministin“ nennen, aber ihre Geschichte ist sehr wohl eine „feministische“, weil sie Frauen ermuntern kann, sich gegen patriarchale Bevormundung zu wehren. Alma hat das erfolgreich getan, und zwar in jeder Beziehung, sei es beruflich oder privat. Gerade deshalb ist sie auch heute noch ein Feindbild für Männer, die Frauen nach wie vor lieber in konventionellen Rollen sehen. Die Ambivalenz eines Frauenlebens zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigt sich darin, wie problematisch es für Alma ist, als Künstlerin wahrgenommen zu werden. Der Geniebegriff war damals noch zu hundert Prozent männlich konnotiert.
Der Film zeigt bereits in den ersten Szenen, wie Alma von ihrem Ehemann Gustav Mahler zur Assistentin degradiert wird. Ihm zuliebe – besser gesagt als Bedingung für die Ehe mit ihm – hat die junge Alma ihre künstlerische Arbeit aufgegeben. Im Film erleben wir, wie Alma versucht, nach dem Tod ihres Gatten ihre Tätigkeit als Komponistin wieder aufzunehmen. Die filmischen Mittel machen es möglich, Alma als Musikerin zu erleben, ihre Kompositionen zu hören und zu sehen, wie kompetent sie die Uraufführung von Mahlers Neunter Symphonie vorbereitet. Almas Liedkompositionen, die gerade heute wieder entdeckt werden, zeugen von ihrer musikalischen Hochbegabung. Im Unterschied zum Roman konnte diese „musikalische Linie“ im Film mehr betont werden.
Was ist der entscheidende Grund für das Scheitern der Beziehung? Glauben Sie, dass es in irgendeiner Form ein Happy End für die beiden hätte geben können?
Alma Mahler war es gewohnt, der strahlende Mittelpunkt der Wiener Gesellschaft zu sein. Im Haus ihres Stiefvaters Moll und später in ihrem eigenen Salon in der Elisabethstraße trafen sich alle, die Rang und Namen in der Wiener Kunstszene hatten oder die sich erhofften, mit Almas Unterstützung berühmt zu werden. Oskar Kokoschka verachtete diese damaligen „Bobos“. Am schmerzlichsten war es für ihn, dass Almas Glanz in dieser Gesellschaft stets mit dem Ruhm ihres verstorbenen Gatten Gustav Mahler verbunden war. Damit stand der tote Gustav Mahler immer zwischen Alma und Oskar.
Oskar Kokoschka hatte „das Bild einer idealen Frau“ vor sich, da er Maler und Dichter war, ist das nachvollziehbar: er sah in Alma eine Göttin, eine Geliebte, die allein für ihn da war, eine Muse, die ihn zu künstlerischen Hochleistungen trieb. Mit Almas Ansporn schuf er tatsächlich auch große künstlerische Werke. Sein Hauptwerk „Die Windsbraut“ entstand, weil er von ihr als Genie anerkannt werden wollte und weil er hoffte, sie würde ihn heiraten, wenn er ein ähnlich anerkanntes Meisterwerk schaffen würde wie Gustav Mahler. Als Alma aber in dem Haus am Semmering, das sie sich gerade für eine gemeinsame Zukunft eingerichtet haben, die Totenmaske Gustav Mahlers aufstellen wollte, eskalierte Oskars Eifersucht in einem Gewaltausbruch.
Ein Happy-End in der Beziehung der beiden ist schwer vorstellbar. Alma war ein weiblicher Don Juan. Sexuelle Eroberungen waren für sie ein Lebenselixier. Dem gegenüber stand Oskars Wunsch, sie ganz für sich alleine zu besitzen. Im Sanatorium in Dresden, wo er nach seiner beinahe tödlichen Kriegsverletzung Zuflucht gefunden hatte, ließ er sich Alma als lebensechte Puppe nachbauen. „Jetzt haben Sie endlich, was Sie sich immer gewünscht haben,“ sagt Adolf Loos im Film, als er ihn im Sanatorium besucht, „eine die Ihnen immer beim Arbeiten zuschaut und die Ihnen nie widerspricht“. Ein sehr zynisches Happy-End.
Neben diesem Roman haben Sie auch eine Geschichte über Egon Schiele geschrieben. Was fasziniert Sie als Autorin an dieser Zeit?
Die Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren Jahre des gesellschaftlichen und künstlerischen Aufbruchs. Alternative Lebensformen wurden versucht, es entstanden Kommunen, in denen freie Liebe und radikal neue Formen von Zusammenleben praktiziert wurden. Homosexuelle Beziehungen wurden enttabuisiert. Frauen erkämpften sich Einfluss, sei`s was ihre Teilnahme am politischen Leben betraf (Adelheid Popp, Rosa Mayreder) oder am Erziehungswesen (Eugenie Schwarzwald). Es war eine Zeit des Ausbrechens aus gesellschaftlichen Zwängen. Die Frauen befreiten sich vom Korsett, sie setzten sich ans Steuer von Automobilen, sie nahmen am Kunstbetrieb teil. Auf Grund des Ersten Weltkriegs fanden viele dieser Entwicklungen ein jähes Ende, aber sie kamen wieder, in den 20er Jahren, wurden wiederum unterbrochen vom aufkeimenden Faschismus vor dem Zweiten Weltkrieg, und lebten erneut auf in den frühen 70er Jahren.
Hilde Berger
Die Windsbraut
Die Geschichte von Oskar Kokoschka und Alma Mahler
192 Seiten, gebunden
€ 26 (A) | € 25 (DE)
Böhlau Verlag Wien
3., überarbeitete Auflage 2020
ISBN: 978-3-205-21116-7
Was kann uns die Geschichte von Alma Mahler und Oskar Kokoschka heute über unsere Welt erzählen?
Zuschauer und Zuschauerinnen, die zu Probe-Screenings von „Alma und Oskar“ geladen waren, empfanden die Beziehung Alma/Oskar als sehr „heutig“, sie erkannten sich selbst in diesem Kampf um Selbstbestimmung, in dem Aufbegehren gegen die Dominanz des Partners beziehungsweise der Partnerin. Durch die Verbindung einer Erzählung, die in der Vergangenheit spielt, mit heutigen Konflikten, bekommt die Geschichte von Alma und Oskar etwas Symbolisches.
Wie haben Sie die Dreharbeiten erlebt?
Es ist ein weiter Weg von einer Szene im Roman bzw. im Drehbuch zu einer gedrehten Filmszene. An einer Szene, die im Film knappe zwei Minuten dauert, wird von einem fünfzigköpfigen Team eine ganze Nacht lang gearbeitet.
Der Film ist als Koproduktion von vier Ländern entstanden und wurde in diesen vier Ländern gedreht: in Österreich, in Deutschland, in Tschechien und in der Schweiz. In Wien ist es gelungen, an einigen originalen Drehorten zu filmen, z.B. in der „Villa Moll“, die 1901 von Josef Hoffmann auf der Hohen Warte gebaut worden ist, oder in der „American Bar“ nahe der Kärntnerstraße, die immer noch so aussieht wie sie Adolf Loos im Jahr 1907 eingerichtet hat, und im Musikvereinssaal, wo Mahlers Neunte uraufgeführt worden ist. In Prag fanden sich weitere historische Locations, in denen die New York-Szenen gedreht werden konnten. Das Dresdner Sanatorium „Weißer Hirsch“ wurde ebenfalls in Prag gedreht, in einem verlassenen Kloster, das schon Milos Forman als Drehort für das Sanatorium in seinem Film „Amadeus“ gedient hat.
Kokoschkas Atelier wurde zur Gänze in einer alten Fabrik in der Schweiz nachgebaut. In der Schweiz entstand auch in wochenlanger Arbeit die Nachbildung des Gemäldes „Die Windsbraut“, und zwar in verschiedenen Phasen, denn man sollte im Film miterleben, wie Kokoschka das Bild malt. Dabei war das Kunstmuseum Basel, das das Gemälde besitzt, sehr hilfreich und rekonstruierte mit Hilfe von Röntgenaufnahmen Schritt für Schritt den Aufbau des Gemäldes, so wie Kokoschka es gemalt hat.
In Wien baute die Künstlerin Maria Grün die Alma-Puppe, Oskars Begleiterin im Sanatorium. Der Regisseur Dieter Berner traf die Entscheidung, sich dabei nicht an das überlieferte Aussehen der Puppe zu halten – auf historischen Fotos sieht man eine menschengroße Puppe aus Plüsch – sondern eine Puppe bauen zu lassen, deren Gesicht dem Gesicht von Emily Cox, der Darstellerin der Alma, täuschend ähnlich war. Ebenso waren die Hände und Füße der Puppe „lebensecht“. Der übrige Körper war aus Stoff, ein Fetzenbalg, der in einer der eindrucksvollsten Szenen am Schluss des Filmes zum Einsatz kommt.
Der Film wurde ja schon auf Festivals gezeigt. Welche Rückmeldungen haben Sie vor Ort bekommen?
Auf ein Festival eingeladen zu werden ist schon einmal eine Auszeichnung für einen Film und bringt es mit sich, dass man auf ein gut eingestimmtes und wohlmeinendes Publikum trifft. Aber darüber hinaus und abgesehen von einigen schönen Kritiken war es spannend zu sehen, dass diese im Wien der Donaumonarchie angesiedelte Geschichte in Stande ist, ihr historisches Biotop zu überschreiten und auch in anderen Erdteilen verstanden wird. In Goa, wo mit „Alma und Oskar“ im November 2022 das internationale Filmfestival Indiens eröffnet worden ist, hatten die Männer (dort gehen fast nur Männer ins Kino) nach dem Film Tränen der Erschütterung in den Augen.
Auf die Rückmeldungen nach der österreichischen Erstaufführung während der Diagonale in Graz war ich sehr gespannt, weil man ja hierzulande, wie ich vermute, ein ganz dezidiertes Bild von Alma Mahler und Oskar Kokoschka hat. Würden die von mir geschriebenen Figuren, würden die Hauptdarstellerin und der Hauptdarsteller bestehen? Sie bestanden! „Emily Cox ist in ihrer Gelassenheit im Umgang mit bedeutenden Männern eine souveräne Alma, die sich nimmt, was sie möchte. Als ungestümer Kokoschka ist Valentin Postlmayr eine Idealbesetzung, er berührt in seiner jugendlichen Begeisterung genauso wie in seinem Wahn mit der Alma-Puppe.“ (TV Media, 26.03.2023).