Kleiner KrisenKompass 3: Den eigenen Standpunkt vertreten
04 March 2022
Helga B. Gundlach, "Rechte Parolen kompetent kontern", (Vandenhoeck & Ruprecht 2020)
Was war das denn für ein Spruch? Helga B. Gundlach hat einige Empfehlungen für Sie, wie Sie sich klar und gelassen gegen rechte oder Querdenker-Parolen positionieren.
Immer öfter treten im Zuge der Proteste gegen coronabedingte Einschränkungen auch rechte Gruppierungen in Erscheinung. Was meinen Sie, warum gerade diese Einstellungen gut zueinander zu passen scheinen?
Ein Muster rechten Denkens und Handelns ist es, sich in einer Opferrolle zu inszenieren und damit eine Legitimation zu haben, um gegen die ihre Situation auslösende Ungerechtigkeit zu kämpfen. Dass es sich hier ursächlich um eine gefährliche Pandemie handelt, auf die Politik wie Gesellschaft gezwungen ist zu reagieren und nicht willkürliche politische Entscheidungen aus dem Nichts oder nach einem lange vorher gefassten Plan getroffen werden, wird dabei gern übersehen und geleugnet – so wie es nämlich ein weiteres Prinzip ist, sich alles, was nicht zur eigenen Argumentation passt, zurechtzubiegen oder zu übergehen.
Zeitgleich gibt es Menschen, die (zunächst) einfach nur kritische und berechtigte Fragen bzw. die tatsächlich gravierende Nachteile durch die im Kampf gegen Corona verhängten Maßnahmen hatten und haben (Jobverlust, Betreuungsprobleme, Existenzängste usw.), also große Opfer bringen mussten und müssen. Sich diesen Menschen und ihren Protesten anzuschließen, sie zu unterwandern, sie zu vereinnahmen, ist da aus rechter Sicht eine folgerichtige Strategie, die sich ihnen geradezu auf dem Silbertablett präsentiert.
Viele Menschen vereinsamten unter Corona und haben Angst. Rechte Gruppierungen greifen diese Ängste auf. Sie präsentieren sich und anderen für komplexe Probleme grundsätzlich gern einfache Lösungen. Damit einhergehend skizzieren sie stereotype Feindbilder oder personifizierte Sündenböcke, die für alles Übel verantwortlich gemacht und auf die aller Frust, alle Wut, alle Angst projiziert werden kann (»die Juden«, »die Flüchtlinge«, »die Chinesen« oder die Bundeskanzlerin, der Gesundheitsminister usw.). Dass es für eine noch nie dagewesene Herausforderung – wie eine Pandemie in Zeiten unserer Globalisierung mit einen sich ständig verändernden Virus – weder einfache noch einmalige Lösungen geben kann, wird ignoriert.
Menschen in diesem Land, die seit ihrer Geburt keine Krisen wie Krieg, Flucht oder Umweltkatastrophen bewältigen mussten, die eine Herausforderung wie die Wiedervereinigung als bis heute nicht überwundenen Rückschritt erlebt haben, die in einer Blase ohne Kontakt zu anderen gesellschaftlichen Gruppen leben, die kulturell geprägt eher eine langfristige Zeitorientierung haben und dazu neigen, große Unsicherheiten zu vermeiden, die erzogen wurden, primär ihre individuellen Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen und die dann von jetzt auf gleich massive finanzielle oder freiheitliche Einschränkungen hinnehmen mussten, hat die Corona-Pandemie mit ihren abrupten Veränderungen wie sofortigem Lockdown oft besonders heftig erschüttert.
So unterschiedlich die beschriebenen persönlichen Hintergründe und konkreten Situationen sein können – es ist nachvollziehbar, dass diese Menschen empfänglich sein können für sowohl einen klaren Verursacher ihres Leids als auch vermeintlich einfache Lösungen und Gegenwehr gegen weitere Einschränkungen. Genau dies bieten rechte Gruppierungen an. Die gleiche Zielsetzung (»kein Impfzwang«, »keine Maskenpflicht« usw.) lässt zwar unsolidarische, aber ansonsten friedfertige Corona-Leugner:innen und Impfskeptiker:innen rechte Demonstrant:innen an ihrer Seite ausblenden, billigend in Kauf nehmen oder deren Gedankengut mitunter auch zunächst meist unbewusst übernehmen.
Zudem gibt es extreme, radikale Rechte, die die Corona-Proteste unabhängig vom Inhalt als »Türöffner« missbrauchen, um generell diesen Staat, diese Demokratie, diese Gesellschaft zu schädigen.
Was raten Sie Menschen, wie sie auf diskriminierende Sprüche reagieren können? Gibt es bestimmte Strategien, um gut durch Situationen zu kommen, die uns erst einmal die Sprache verschlagen?
Je mehr wir uns über unseren eigenen Standpunkt im Klaren sind, umso besser können wir reagieren. Je nach Situation, Gegenüber, möglichen weiteren Anwesenden, eigener Art und Tagesform gibt es eine Bandbreite unterschiedlicher Reaktionsmöglichkeiten:
- die eigene Befindlichkeit reflektieren, überlegen, warum man selbst womöglich so wütend oder traurig wird
- Zeit gewinnen, um in einer Überrumplungssituation kurz- oder längerfristig erst einmal durchatmen zu können
- für sich klären, ob und inwiefern das Gegenüber für ein Gespräch überhaupt erreichbar ist oder ob ein kurzes abgrenzendes Statement sinnvoller ist
- kurz und unmissverständlich auf den eigenen Standpunkt hinweisen und damit das Gespräch beenden oder das Thema wechseln
- Nachfragen mit typischen W-Fragen, wie etwas genau gemeint ist
- Quellen des Gegenübers erfragen
- deutlich machen, dass man solche Parolen nicht hören möchte, und das Gegenüber bitten, dies zu unterlassen
- darauf hinweisen, dass derartige Sprüche am Arbeitsplatz gemäß Leitbild o. Ä. inakzeptabel sind
- Aussagen, die man nicht hören möchte, nicht wiederholen, auch nicht negiert
- eigentliche Bedürfnisse des anderen herausarbeiten, wie z. B. Ängste oder Einsamkeit
- die eigene Besorgnis über die Veränderungen des Gegenübers aussprechen
- klar zwischen Person und Sache trennen
- das Gegenüber trotz allem wertschätzen und sein Gesicht, insbesondere gegenüber Dritten, wahren
- von eigenen anfänglichen Verunsicherungen erzählen und davon, wie man einen klaren Weg für sich gefunden hat
- persönliche Beispiele von Menschen erzählen, die durch Corona »wirklich« eingeschränkt sind
- nach konkreten Lösungen fragen
- Gemeinsamkeiten mit dem Gegenüber suchen, anstatt nur auf das Trennende zu schauen
Wenn alles nichts hilft: Denken Sie an sich! Brechen Sie Kontakte ab, wenn Sie die Kraft dazu nicht mehr haben oder keinen Sinn mehr darin sehen. Beziehen Sie sich dabei möglichst auf die Sache, also die Einstellungen oder das Verhalten des Gegenübers, nicht auf seine Person.
Was hilft dabei, sich in seinem eigenen Weltbild durch extreme Meinungen, sei es durch rechte oder Querdenker-Parolen, nicht erschüttern zu lassen?
Steter Tropfen höhlt den Stein, sagt man. Und so ist es nicht verwunderlich, dass wir, wenn wir ständig bestimmte Sprüche oder Ideologien hören, diese irgendwann unbewusst verinnerlichen, verunsichert werden, überlegen, ob da nicht vielleicht doch was dran sein könnte. Genau deshalb setzen Menschen, die andere von etwas überzeugen wollen, auf ständige Wiederholung, selbst wenn der Inhalt offensichtlich nicht den Fakten entspricht. Diesen Mechanismus sollten wir uns immer wieder bewusst machen und wachsam sein.
Wir können in uns gehen und die Grundwerte notieren, die uns wirklich wichtig sind. Werte, die uns ein Leben lang begleitet haben, die uns Orientierung gaben, die wir in der Vergangenheit verteidigt haben. Dann können wir Parolen bzw. Menschen, die diese äußern, daraufhin durchchecken, ob wir unsere Werte dort wiederfinden. Es kann helfen, sich wichtige Grundsätze aufzuschreiben, vielleicht an gut sichtbaren Stellen aufzuhängen und immer wieder einmal anzuschauen. Dabei darf man sich natürlich auch berühmter Zitate oder vertrauter Sprichwörter, die einem aus dem Herzen oder dem Verstand sprechen, bedienen.
So, wie wir andere Menschen anregen können, ihre aus unserer Sicht abstrusen Gedanken einmal weiterzudenken (bspw.: »Bist du wirklich dafür, dass alle Menschen mit ausländischem Pass oder Migrationsbiografie dieses Land verlassen sollten? Wer wird dann noch auf Baustellen oder in der Altenpflege arbeiten?«), können wir uns solche Fragen auch selbst stellen (bspw.: »Ich stelle mir vor, niemand hätte sich impfen lassen, niemand würde eine Maske tragen. Wie viele mehr Menschen wären gestorben, hätten mit Spätfolgen, Long COVID zu kämpfen?«). Das heißt, wir spitzen Parolen gedanklich zu und überlegen, ob das mutmaßliche Ergebnis wirklich das ist, was wir wollen.
Außerdem hilft es, Gleichgesinnte zu suchen, gegenseitig stärkende Gespräche zu führen, sich Gegendemonstrationen anzuschließen, um gemeinsam zu zeigen, dass man als Teil der Mehrheit zwar von Corona durchaus genervt sein und einzelne politische Entscheidungen in Frage stellen kann, dass aber Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt über allem stehen.