Kleiner KrisenKompass 8: Mal etwas ander(e)s machen
08 April 2022
Heike Kramann, "Do it yourself: Selbstsupervision und Selbstcoaching", (Vandenhoeck & Ruprecht 2020)
Ist Durchhalten immer die beste Lösung? Warum lohnt es sich, öfter einen Blick auf das persönliche Wohlbefinden sowie das der Allgemeinheit zu werfen? Heike Kramann bricht eine Lanze für das Gehen neuer Wege.
Die letzten beide Jahre haben uns dünnhäutig gemacht, viele fühlen sich angesichts von Corona und den Folgen ohnmächtig, in einem Zustand des Nichtkönnens gefangen: Warum ist das so?
Zum Zustand des Nichtkönnens: Eigentlich hatte ich schon einen Text fertig, der den Weg vom Nichtkönnen (wie geht überhaupt Krise nach all den ruhigen Jahren und Jahrzehnten?) zum Nicht-mehr-Können (die Erschöpfung nach 24 Monaten Pandemie) nachzeichnet. Die zwei Jahre Corona, die hinter uns liegen, haben sicher bei vielen die letzten Reserven verbraucht. Das darf sowohl mental wie auch monetär verstanden werden. Nachvollziehbar sind viele erschöpft nach zwei Jahren Agieren im Krisenmodus, wo doch aus der Krise längst eine Lage geworden war, Corona ist gekommen, um zu bleiben.
Wir aber bemühen, im Großen wie im Kleinen, in Makro- wie in Mikroystemen, nach wie vor Krisenbewältigungsstrategien, die per definitionem darauf angelegt sind, kurzfristig die Situation zu erleichtern, ohne dass es hier auf eine langfristige Perspektive ankäme. Wie auch, weil Krise ja immer bedeutet, dass man/frau/mensch es mit einem neuen, noch nie da gewesenem Zustand oder Faktum zu tun hat.
Schon nach einem Jahr aber war Corona nicht mehr neu und dennoch wurde und wird vielerorts die Lage noch als Krise verhandelt. Aber Krisenmanagement ist endlich und sollte irgendwann auch seinen Zweck erfüllt haben.
Wie gesagt, eigentlich sollte der Text so anfangen. Weiter sollte es dann von der Makroebene in die Mikroebene gehen, weil viele nicht alle sind und es doch beträchtliche interindividuelle Unterschiede gibt, mit Dauerstress umzugehen – bezeichnen wir versuchsweise mal die Ungewissheiten der letzten beiden Jahre als Dauerstresssituation, nicht als Krise. Und auch der konkrete Kontext spielt eine nicht unwesentliche Rolle dabei, ob jemand seine Ressourcen nutzen kann oder nicht.
Nicht jede:r kann gut mit Ungewissheiten umgehen und irgendwann wollen selbst die Entspanntesten und Bestabgesichertsten auch wieder so etwas wie »Planungssicherheit« haben. Erstaunlich viele haben doch in den Anfangszeiten der Pandemie unerschrocken versucht, das Beste daraus zu machen. Sie haben sich digitale Kompetenzen draufgeschafft und die vorhandenen erweitert, sie haben, so sie nicht Eltern von Kindergarten- und Schulkindern waren, die Gelegenheit genutzt, Dinge zu tun, die sie schon lange haben tun wollen, aber mangels Zerstreuung nicht tun konnten (Brotbacken und Fermentieren lernen, Dostojewski lesen, den Garten umgraben), alles im Glauben, dass mit der Impfung ein Ende in Sicht sei. Nun gibt es die Impfung seit einem Jahr und wir reden mittlerweile von der vierten Impfung, der zweiten Boosterung und ahnen, dass es weitere geben wird.
Weiter sollte dann von Krisenmanagementstrategien die Rede sein. Solchen, die eher Übersprungshandlungen glichen, komplett zweckfrei und irrelevant, solchen, die tatsächlich die aktuelle Situation zum Besseren gewandelt hatten, uns kurzfristig befähigt hatten, mit der neuen Situation besser umzugehen, und schließlich solchen, die so gut waren und sind, dass sie als das »neue Normal« nobilitiert werden können.
In einer Sportmetapher ausgedrückt, schließlich ist in Peking gerade Olympia, sind wir zu Beginn losgesprintet, um einen Rest des alten »Normal« über die Ziellinie zu bringen. Dann mussten wir vom Sprint zur Mittelstrecke wechseln, weil so schnell keine Normalität zu haben war, das Virus vom Wildtyp zur Alpha-, zur Delta-, zur Omikronvariante mutiert ist, wie Sie wissen. Jetzt, auf der Langstrecke, dreifach geimpft, mitunter dennoch erkrankt, ist ein Ziel nicht mehr in Sicht. Einem Volk von unfreiwilligen orientierungslosen Ultraläufer:innen geht jetzt die Puste aus. Damit wäre ich beim Nicht-mehr-Können angelangt. Und es hätte sich alles schlüssig gefügt, finde ich jedenfalls.
Bis ich heute einen Podcast hörte – mit der Schriftstellerin Ronja von Rönne als Gast. Auf die Frage was sie, wenn sie ein großes Billboard am Alexanderplatz zur Verfügung hätte, dort plakatieren würde, antwortete sie: »Gebt schneller auf.«
»Gebt schneller auf.« Also quasi das Gegenteil von »Halte durch, bleib auf Kurs«. Mit Steve de Shazer gesprochen: »Wenn das, was du tust, nicht funktioniert, dann mach halt etwas anderes.«
Gebt schneller auf! Das heißt auch: Seid flexibel, ändert eure Taktik. Passt euch der Wirklichkeit an und wartet nicht, bis die Wirklichkeit sich euren Vorstellungen anpasst. Wenn erste Hindernisse auftauchen, nehmt einen anderen Weg, weitere, größere könnten folgen. Holt Plan B aus der Tasche. Schaut nicht zurück, die Lösung liegt vermutlich vorne. Begrüßt den Irrtum und macht etwas anderes.
Leider ist das Aufgeben viel schlechter beleumundet als das Durchhalten. Damit assoziiert wird scheitern, verlieren, es nicht schaffen, sich nicht genug angestrengt haben. Schon jüngeren Kindern bringen wir bei, dass sie dranbleiben sollen, sich durchbeißen müssen, Durststrecken überwinden, viel Schwarzbrot essen, wenn sie es einmal zu etwas bringen wollen. Aber wir erzählen ihnen nicht, dass sie ihr Ziel immer wieder überprüfen sollten: Ist es noch das, was ich will? Macht es noch Sinn, dahin zu streben? Ist es noch ein realistisches Ziel? Passen Ziel und ich noch zusammen? Was ist, wenn ich es erreicht habe, werde ich dann glücklich sein, ein besserer Mensch? Und welchen Preis werde ich dann bezahlt haben?
Zurück zur Ausgangsfrage: Vielleicht haben wir oft, zu oft, mehr Desselben gemacht, in der verständlichen Hoffnung, dass wir nur lange genug durchhalten müssen, dann ist der Lockdown vorbei, dann ist meine Branche wieder gefragt, dann hat das Kind von mir den Dreisatz gelernt, auch wenn ich keine Ahnung von Mathematikdidaktik habe.
Vielleicht sollten wir öfter mal schneller aufgeben. Es ist ja nicht so, dass dann nichts passiert. Es passiert aber etwas anderes, etwas, das eine Tür öffnen könnte, hinter der ein Weg weitergeht, anders, anderswohin.
Nicht immer ist ein Coach oder ein:e Therapeut:in zur Hand: Was können wir für ein dickeres Fell tun? Wie gelingt es, unsere Grundimmunisierung aus uns selbst heraus wieder zu stärken?
Gute Frage, solange wir uns nicht selbst geißeln, wenn es uns nicht gelingt, und wir doch merken, wie sehr uns die Situation anfasst.
Erneut Steve de Shazer bemühend ist es sicher gut, mehr von den Dingen zu tun, die uns Wohlbefinden verschaffen. Da wir ja sogenannte biopsychosoziale Wesen sind, gilt das auf allen Ebenen. Auf der emotionalen Ebene bedeutet das, zum Beispiel Lieblingsfilme zu gucken, Lieblingsdinge zu tun. Alles, was positive Gefühle hervorruft, sollte hilfreich sein. Als soziale Wesen sind wir auf Interaktionen mit anderen angewiesen. Täglich ein angenehmer Austausch mit einem anderen Menschen boostert ja tatsächlich und nachgewiesenermaßen das Immunsystem. Und der Körper, der nicht nur dazu da ist, unser Gehirn mit Blut zu versorgen, gibt uns ja ohnehin, so wir es wahrnehmen wollen, ungefragt und ständig Rückmeldungen darüber, wie es um ihn steht. Hören wir auf ihn, seien wir freundlich zu ihm, geben wir ihm Ruhe, wenn er sie braucht, und lassen ihn sich auspowern, wenn das dran ist, soviel Essen, wie nötig und möglichst viel davon gesund.
Selbst ist die Frau, selbst ist der Mann: Verraten Sie uns zwei Ihrer Lieblingstools für ein erfolgreiches Selbstcoaching?
Lieblingstool 1: Die Schutzmantelübung (nachzulesen ab S. 91 in meinem Buch). Wenn wirklich alles zu viel ist, zu viel Omikron, zu viel Stundenausfall, zu viel Krankenstand usw., dann Mantel über den Kopf ziehen und runterfahren.
Lieblingstool 2: Das Dream-Team (nachzulesen ab S. 97 in meinem Buch). Ein Hoch auf die Schwarmintelligenz!
Welche Frage hätten Sie noch erwartet? Was möchten Sie uns gern noch mit auf den Weg geben?
Hm, da fällt mir ehrlich gesagt spontan eher ein, dass ich mich freue, dass die Frage nach den Learnings aus Corona nicht gestellt wurde. Klar, irgendetwas werden die meisten von uns schon daraus mitnehmen. Da bin ich etwas pessimistisch: Ich fürchte, die Weltgesellschaft hat nicht begriffen, dass hier, bei Corona, die Ausbeutung der »Natur« durch den Menschen sich gegen den Menschen selbst zu wenden begonnen hat. Es wird wohl weitere Pandemien geben.
An das eben Gesagte anknüpfend gebe ich gern mit auf den Weg, dass es Heilung, Besserung, Fortschritt, Zufriedenheit auf der Mikro- wie auf der Makroebene in aller Regel nicht für Soloperformances gibt, sondern dann, wenn wir kooperieren.