Österreichs Kreuzzüge. Die Babenberger und der Glaubenskrieg 1096–1230
01 December 2021
Robert-Tarek Fischer, "Österreichs Kreuzzüge", (Böhlau 2021)
Herr Fischer, was hat Sie dazu veranlasst, ein Buch über Österreichs Anteil an den Kreuzzügen zu schreiben?
Faszination und auch Neugier gegenüber einem Thema, das bislang in Buchform nicht behandelt wurde.
Über das mittelalterliche Österreich gibt es teils brillante Bücher, ebenso über die Babenberger, die das Donaufürstentum am Ostrand des Heiligen Römischen Reiches 270 Jahre lang regierten. Selten im Zentrum der Aufmerksamkeit stand hingegen Österreichs Anteil an den europäischen Glaubenskriegen des Hochmittelalters.
Ich fand, dass es Zeit war, dieses Thema aufzugreifen. Denn die Ära der Kreuzzüge war ein historisches Langzeitereignis ersten Ranges und der Part, den die Babenberger dabei spielten, beträchtlich – größer, als man es bei einem kleinem Fürstentum am Ostrand des Heiligen Römischen Reiches erwarten würde.
Wie ist die Rolle der Babenberger bei den Kreuzzügen einzuschätzen?
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, muss man sich vor Augen halten, wie gewaltig die Kreuzzugsbewegung eigentlich war und welch fatale Folgen sie hatte.
Vom ersten Kriegsaufruf Papst Urbans II. im Jahr 1095 bis weit in 13. Jahrhundert hinein erzeugte die Kreuzzugsbewegung eine ungeheure Sogwirkung in Europa. Über zwei Jahrhunderte zogen Hunderttausende Kreuzritter ins weit entfernte Heilige Land, um Krieg im Zeichen des Glaubens zu führen. Die daraus resultierenden Kämpfe forderten nicht nur aberwitzig viele Menschenleben, sondern beeinflussten auch die Geschichte der islamischen Welt sowie der christlichen Welt massiv.
Bei dieser umwälzenden Bewegung machten die Babenberger nicht nur mit, sie taten es mit einer Konsequenz, die ihresgleichen suchte. Sie nahmen, von einer Ausnahme abgesehen, an allen großen Kreuzzügen des 12. und frühen 13. Jahrhundert teil. In Sachen Glaubenskrieg gehörten sie zu den engagiertesten Fürstenfamilien Mitteleuropas. Sie waren eine echte Kreuzritterdynastie.
Wenn man an die Babenberger und die Kreuzzüge denkt, kommt einem quasi automatisch Richard Löwenherz in den Sinn, wie er bei der Rückkehr vom Kreuzzug bei Wien verhaftet wird, seine Gefangenschaft in Dürnstein, der Sänger Blondel…
Dass ein Sänger Blondel von Burg zu Burg gezogen sei, um seinen König zu finden, ist historisch nicht nachweisbar.
Ansonsten aber ist die Gedankenassoziation durchaus zulässig und auch naheliegend. Die Gefangennahme von Richard Löwenherz durch den Babenberger-Herzog Leopold V. fand ja im Kontext des Dritten Kreuzzuges statt, an dem sowohl der englische König als auch der österreichische Herzog teilgenommen hatten. Und sie war ein echter Paukenschlag, sorgte für enormes Aufsehen in Europa sorgte und wuchs sich zur größten Erpressungsaffäre des Hochmittelalters aus.
Aber es gab bei den österreichischen Kreuzzügen auch andere, kaum weniger markante Ereignisse und Aspekte. Es gehörte zu den Eigenheiten der Babenberger, dass ihre Teilnahme am Glaubenskrieg stark dazu neigte, spektakulär auszufallen. Das zeigte sich schon gleich zu Beginn.
Denn ihren Einstieg in die Kreuzzugsbewegung vollzog eine Frau.
Und nicht nur das: Statt in männlicher Begleitung loszuziehen, wie man(n) es im Hochmittelalter für angebracht hielt, brach sie auf eigene Faust nach Jerusalem auf.
Das klingt in der Tat ungewöhnlich. Wer war diese Frau?
Es handelte sich um Markgräfin Ida, Witwe Leopolds II. und Mutter von einem der berühmtesten Babenberger, Markgraf Leopold III., den man später „der Heilige“ nannte.
Ida hatte 1096 den Durchmarsch mehrerer Armeen des Ersten Kreuzzuges durch Österreich miterlebt und drei Jahre später von der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzritter erfahren. Im Frühjahr 1101 zogen abermals mehrere Armeen aus den unterschiedlichsten europäischen Regionen gen Orient, um die Gebietsgewinne der westlichen Christen im Heiligen Land abzusichern und auszubauen. An diesem Kreuzzug wollte Markgräfin Ida teilnehmen. Dass sie keinen Gemahl mehr hatte, an dessen Seite sie hätte losziehen können, hielt sie von ihrer Entscheidung nicht ab.
Die Selbstermächtigung einer Frau vor weit mehr als 900 Jahren gewissermaßen?
Markgräfin Ida setzte, als sie im Frühjahr 1101 in der Kreuzzugsbewegung aktiv wurde, natürlich keine feministische Tat im heutigen Sinn. Zweifelsohne jedoch war ihr Handeln für eine Frau des frühen 12. Jahrhunderts höchst ungewöhnlich. Denn dass sich eine Fürstin einem Kreuzzug anschloss, kam im Hochmittelalter schon selten vor. Dass eine Fürstin aber nicht an der Seite eines Mannes – ihres Gemahls oder eines engen männlichen Verwandten – nach Jerusalem aufbrach, war in der gesamten, immerhin fast zwei Jahrhunderte dauernden Ära der Orientkreuzzüge ein Ausnahmefall.
Dazu gehörten Selbstbewusstsein und vor allem Mut, denn allein schon die im Hochmittelalter gegebenen Reisebedingungen erforderten eine ungeheure Leidensfähigkeit, dies vor allem, wenn man vorhatte, mehrere tausend Kilometer bis ans Ende der damals bekannten Welt zurückzulegen.
Was brachte die Babenbergerin zu diesem ungewöhnlichen Entschluss?
Die damals alles dominierenden Glaubensgründe werden auch bei ihrer Entscheidung eine starke Rolle gespielt haben, der Wunsch, das Heilige Land, wo sich das Leben und Leiden Jesu Christi abgespielt hatten, mit eigenen Augen zu sehen.
Es ist aber nicht auszuschließen, dass dabei auch ein im weiteren Sinn politischer Grund mitschwang, nämlich die Überlegung, dass das Haus Babenberg in der neuen, gewaltig hochlodernden Kreuzzugsbewegung Flagge zeigen musste, und dass es an Ida lag, dies zu tun. Ihr Sohn Leopold III. herrschte bereits seit einigen Jahren über die kleine Markgrafschaft Österreich, aber er war Idas einziger Sohn. Die Personaldecke im Haus Babenberg war um 1100 sehr dünn. Das Risiko, dass Leopold III. bei so einem gefährlichen Unterfangen wie einem Kreuzzug ums Leben kam, mag aus Idas Sicht zu hoch gewesen sein.
Wie spielte sich der Kreuzzug der Babenbergerin ab?
Eine der Armeen, die 1101 in Richtung Orient zogen, kam aus dem Herzogtum Bayern, dem die Markgrafschaft Österreich damals noch angehörte. Dieser Streitmacht schloss sich Ida von Babenberg an. Es war ein ziemlich großes Unternehmen, denn Herzog Welf IV. von Bayern beschloss, gemeinsam mit der Streitmacht des Herzogs von Aquitanien nach Südosten zu ziehen. Ida zog also mit einer, wenn man so will, Doppelkreuzarmee nach Südosten.
Zeitgenössische Indizien legen den Schluss nahe, dass sie beim Kreuzzug des Jahres 1101 eine gewichtigere Rolle spielte, als man es einer Frau im Hochmittelalter heute zutrauen würde.