Im Gespräch mit Sabine Zurmühl über ihr Buch „Cosima Wagner“

    12 september 2022

Sabine Zurmühl »Cosima Wagner - Ein widersprüchliches Leben«, (Böhlau 2022)

Seit Jahrzehnten beschäftigen Sie sich mit dem „Wagner-Universum“, haben u. a. Bücher zu Brünnhilde sowie dem „Ring“ verfasst und sind Mitglied des Bamberger Richard-Wagner-Verbandes. Wie entstand die Idee zu ihrem neuen Buch?

Es war ein sich über Jahre langsam aufbauendes Bedürfnis, das Leben von Cosima Wagner als eigenständiges und ihr zugehöriges genauer anzuschauen und ihr damit auch ein wenig mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Warum war es wichtig, eine neue Biografie über die langjährige Leiterin des Bayreuther Festspiele zu verfassen?

Die vorhandenen Biographien über sie sind entweder veraltet oder in einem verachtenden, manchmal sogar feindseligen Ton geschrieben, der den Zorn auf die „böse Witwe“ enthält, die Eifersucht auf die Nähe zum „Meister“ und einen herablassenden Unernst auf Frauen im musikalisch-künstlerischen Milieu.
Und ich habe mich zunächst gar nicht so sehr für die Leiterin der Bayreuther Festspiele interessiert – da hatte sie die wichtigen Begegnungen und Entscheidungen schon hinter sich –, sondern vor allem für ihre Kindheit und Jugend als französisches Internatskind und uneheliche Tochter berühmter Eltern. Sie wurde zum Einzelkind, nachdem Bruder und Schwester sehr früh starben. Sie war die erste Hörerin der Wagner'schen Kompositionen, sie war Lehrerin ihrer fünf Kinder und stand durch ihre Herkunft sozial weit über Wagner. Wie ist sie zu der geworden, die sie dann war?

Was fasziniert Sie persönlich besonders an der kontroversen Persönlichkeit?

Cosima Wagner hatte viele Fähigkeiten und Talente, die sie zum Glück auch entfalten konnte. Sie schrieb sehr gut, sprach mehrere Sprachen, war musikalisch und konnte blendend organisieren – heute würde man sagen: managen. Und sie war bereit, ihre eigenen Entscheidungen zu leben, auch wenn sie dadurch viel Ablehnung und gesellschaftliche Ächtung auf sich nehmen musste. Sie entsprach keineswegs dem Schönheitsideal ihrer Zeit.
Sie hat sich durch ihr Leben und dessen Anforderungen durchgekämpft und hatte dabei wenig Unterstützung. Lebenslang war sie von Schuldgefühlen und Zweifeln bewegt. Sie konnte es nicht allen recht machen und litt unter der Enttäuschung, die sie auch bereiten musste. Ich nehme also widerstrebende und letztlich unversöhnliche Energien wahr.

Wer über Cosima Wagner schreibt, nennt zuerst die berühmten Männer in ihrem Leben: den Vater Franz Liszt und die beiden Ehemänner Hans Freiherr von Bülow und Richard Wagner. Kann man sich ihrer Person überhaupt anders nähern?

Jeder Mensch, jede Frau hat ja zunächst eine eigene Entwicklung und ist eine eigene Persönlichkeit. Es war mir sehr wichtig, nicht mehr durch die Brille des Vaters, des betrogenen Ehemannes etc. zu schauen, sondern zu fragen: Wie kann ich ihre Persönlichkeit besser verstehen, was hat sie erfahren von diesen Männern und wie hat sie das verarbeitet? Was waren ihre Nöte und Freuden? Und zum Glück hat Cosima Wagner viele Briefe, Tagebucheintragungen, Gedanken geschrieben, die zumindest eine Annäherung erlauben.

Ihr Buch setzt sich aus 33 biografischen Skizzen zusammen: Welche Vorzüge hat diese Textform?

Eine solche Form erlaubt eine große Freiheit, mir die Einzelaspekte zu suchen, die ich interessant finde – mit Mut zur Lücke. Was schrieb sie als Kind an den fernen Vater? Wie war sie gekleidet? Wie zeigte sich ihr Antisemitismus? Welche Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit prägten sie? Was brachte sie für die Entscheidung für die Festspiele mit? Eine solche eher nicht vertikale, an der Zeitschiene orientierte, sondern horizontal verschiedenen Auffälligkeiten oder Strukturen folgende Textform kann andere Schwerpunkte setzen. Abgesehen davon, dass ein solches Buch, so höre ich inzwischen, sich entspannt liest, weil die einzelnen Skizzen kurz sind und auch in anderer Reihenfolge gelesen werden können.

Am Beginn Ihres Buchs steht eine Liste aller überlieferten Kosenamen, die Richard Wagner seiner Frau gab. Damit steigen Sie auf einer ganz privaten Ebene ein. Wie fanden Sie während der Arbeit am Buch die Balance aus fast intimer Nähe und kritischer Distanz?

Das ist gar keine einfache Sache. Die emotionale Nähe in Briefzeugnissen Cosimas zum Beispiel dient mir eher dazu, eine sehr persönliche Seite von ihr kennenlernen zu dürfen. Und das emotionale Echo, das dies in mir auslöst, ist auch die Triebkraft des Schreibens, regt Phantasie und Interpretationsideen an. Es ist aber nie ein Mit-Leben, eine Identifikation, ein Sich-Verlieren in dieser Person, sondern ein Betrachten aus meinem Wissen, meinen Wertungen und meiner eigenen Persönlichkeit heraus. So bin ich mir gar nicht sicher, ob mir Cosima Wagner in einer persönlichen Begegnung sympathisch gewesen wäre. Interessant ist sie allemal.

Im Untertitel heißt es „Ein widersprüchliches Leben“. Konnten Sie einige Widersprüche durch die intensive Beschäftigung mit der Person auflösen?

Letztlich bleiben für mich die Widersprüche in Cosimas Leben unversöhnt nebeneinander. Sie war sehr sensibel und gleichzeitig sehr hart. Sie war anspruchsvoll und gleichzeitig fast asketisch verzichtend. Sie hatte große Selbstzweifel und konnte gleichzeitig übermütig, ja ausgelassen fröhlich sein. Ich denke, dass wir alle mit sich scheinbar ausschließenden Gleichzeitigkeiten leben und so wollte ich gar nicht versuchen, diese Widersprüche aufzulösen.

Inwiefern können wir Cosima Wagner nach heutigen Maßstäben trotz ihrer antisemitischen Einstellung und, obwohl sie die Frauenbewegung ablehnte, als eine moderne, emanzipierte Frau einordnen?

Der Antisemitismus Cosimas speiste sich wohl zunächst aus dem Katholizismus ihrer Kindheit – ihre Eltern und viele ihrer Freundinnen dachten da anders. Und mit ihrem Wechsel von der französischen Herkunft hin nach Deutschland, wo sie unbedingt als Deutsche anerkannt werden wollte, unterstützte sie den Antisemitismus ihrer Umwelt, insbesondere den von Bülow und Wagner, besonders heftig und dann unbeirrt. Der immer wieder auftauchende Spott über jüdische Menschen, sozusagen als Familienspiel, ist eine bestürzende Wahrheit.
Zwar interessierte Cosima Wagner sich nicht für die in ihrer Lebenszeit aufkommende Frauenbewegung und deren politische Kämpfe. Aber persönlich ergriff sie die Chance zu einem letztlich sehr emanzipierten Leben. Und sie bewies mit ihrer Entscheidung für Wagner sehr viel Mut, den wir mit dem Wissen der Nachgeborenen um den Erfolg des Wagner-Paares kaum einschätzen können. Sie konnte nicht wissen, welche Zukunft sie haben würde, aber ließ sich nicht beirren in ihren Zielen. Das finde ich auch für heutige Verhältnisse eine empfehlenswerte Devise.

Sabine Zurmühl M.A., geboren in Berlin, Studium der Germanistik, Romanistik und Theaterwissenschaft an der FU Berlin, als freie Autorin, Kritikerin und Filmemacherin tätig für Zeitungen, Hörfunk und ARD-Fernsehen. Mitbegründerin der Zeitschrift „Courage“. Diverse Buchveröffentlichungen. Ebenfalls als Mediatorin tätig.