Impuls O – Optimismus: Der Pessimismus im Denken, Sehen und Fühlen (C.O.R.O.N.A. 9/20)
26 August 2021
Christa H. Herold »Lösungsfokussierte Beratung: Ein Fünf-Bausteine-Modell«, (Vandenhoeck & Ruprecht 2021)
1. Impuls C – CHANCE
2. Impuls O – ORDNUNG
3. Impuls R – RESILIENZ
4. Impuls O – OPTIMISMUS
5. Impuls N – NACHHALTIGKEIT
6. Impuls A – ALTERNATIVEN
Optimismus und Pessimismus sind in der individuellen Haltung und Einstellung von uns selbst und zu uns selbst tief verwurzelt. Beide Lebensauffassungen mit ihrer gegensätzlichen Natur vereinen sich in ihren Gegensätzen.
Bevor wir uns dem Schwerpunktthema des Optimismus zuwenden, sollte – der Vollständigkeit halber – vorher der Pessimismus als dessen Gegenteil betrachtet werden. Der Fokus gilt speziell dem ihm wesentlichen Denken, Sehen, Fühlen und Handeln in seinen Zusammenhängen.
Pessimismus kommt vom Lateinischen pessimum, das Schlechteste, und ist ein Superlativ von malus schlecht. Dabei wird die schlechte Sicht der Dinge mit ihrer Erwartung an und in die Zukunft zusätzlich mit einer Steigerung ins Negative verstärkt: als eine schlechteste. Der Pessimismus bildet also nahezu einen entgegengesetzten Pol zum Besten.
Das Denken
Insofern keine gesundheitliche (pathologische) Einschränkung vorliegt, besteht für jede:n die Möglichkeit der Wahl, die in aller Feinheit mit dem Denken anfängt und mit bewussten als auch unbewussten Entscheidungen und einer Kontrolle, z. B. der Gedanken und Emotionen, zu tun hat.
Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen sich systemisch gegenseitig. Mehr oder weniger wirkt sich die Denkweise über die Sich-selbst-erfüllende-Prophezeiung in der äußersten Tendenz zum Besten oder Schlechtesten und der Entscheidung in eine positive oder negative Richtung auf jede:n von uns aus. Auch das Umfeld oder der kulturelle Kontext spielen dabei eine Rolle: Mit welchen Personen umgebe ich mich? Welche Beziehung habe ich zu ihnen? An wem oder was orientiere ich mich? Was lese ich, welche Filme sehe ich mir an?
Das Denken mit seinen Gedanken kann sich in kritischen Herausforderungen und dem Wegfallen von Routinen und Sicherheiten, wo vorher ein flexibles Sowohl-als-auch bestand, in einen Entweder-oder-Modus oder ein Schwarz-Weiß-Denken verengen. Das Gehirn switcht in solchen Situationen regulatorisch rasend schnell auf andere Areale um, wie in jene alten, wo die Angst, der Kummer und die Sorge hocken, die dann auch noch automatisch und bevorzugt die Oberhand gewinnen. Dann hilft nur, durch positive Gedanken diesen unguten Kreislauf aufzustören und zu unterbrechen, um die Kontrolle langsam wieder zurückzugewinnen. Doch das muss einem einerseits bewusst sein und kann dann andererseits trainiert werden.
Sind die Gedanken einer Person erst einmal in einer Enge verfangen und verharren dort im negativen Denken mit entsprechend einseitig nährenden Bewertungen und mit Vorurteilen dekorierten Deutungen, hat das Auswirkungen. Eine pessimistische Haltung bzw. Einstellung entwickelt sich zu einer schleichenden Resignation: „Ich kann das nicht!“, „Ich schaffe das nicht!“, „Es hat ja doch alles keinen Zweck!“ Unmerklich nisten sich diese Glaubenssätze ein, durchdringen die vorher noch dynamischen Handlungsoptionen und bestimmen in dominierender Art und Weise und mit ihren hemmenden Bestandteilen das Verhalten der Person in der Alltagsrealität.
Wenn es weiterhin verfestigt wird, kann sich dieses kognitiv-affektiv aufgeladene Denken in einer zunehmend irrationalen Welt verirren oder verfangen. Nach Erkenntnissen von Paul Watzlawick, dem österreichisch-amerikanischen Kommunikationsforscher, und seinem philosophischen Konstruktivismus zeigt sich die Wirklichkeit in einer individuellen Konstruktion, die jede:r – mehr oder weniger bewusst – von der Welt vornimmt. Dazu wird sie ständig so umgebaut, dass sie dem Individuum in seinem Sinne nützt und dient und es ihm mit der Konstruktion gut geht. Beim „Umbauen“ kann durchaus mal etwas auf der Strecke bleiben und weniger Raum oder Anteil bekommen, wenn z. B. eine vorherige Flexibilität und Spontaneität durch eine vorwiegend negativ beeinflusste Denkweise verdrängt wird.
Das Sehen
Das Sehen geschieht in einer persönlich – meist unbewusst – vorgenommenen Auswahl, weil die über den Sehnerv einströmenden großen Datenmengen an Impulsen gar nicht alle vom Gehirn verarbeitet werden könnten. Somit wird von vornherein ausgewählt und aussortiert. Dabei richtet sich der bewusste Vorgang der Selektion nach Kriterien wie: was mir wichtig ist und nützt, oder welche Bedeutung ich dem jeweils beimesse. Eine schwangere Frau nimmt z. B. in ihrer Umgebung weitaus schneller die ebenso Schwangeren wahr als andere. Steht für jemanden der Kauf eines Autos von einer bestimmten Marke und einem ausgefallenen Modell an, passiert das gleiche in der Fokussierung: der Person wird das entsprechende Automodell verstärkt ins Auge springen.
So bestimmt auch unsere positive/optimistische oder negative/verneinende Haltung und Einstellung die Sicht auf das halbvolle oder halbleere Glas. Wird das Negative bevorzugt mit ins Boot geholt, wird ein ehemals positiver, farbiger und kreativ gestalteter Raum – mit einem großen Freiheitsradius – nun durch die Dominanz des Gegenteils verkleinert. Nicht nur, dass jetzt wie mit einem Tunnelblick durch eine Röhre geschaut wird, trübt sich der Blick manchmal noch zusätzlich ein, als ob ein Milchglas vor die Linse geschoben sei. Ein Schleier verhängt den Blick und eine ehemals farbige Strahlkraft verliert sich in einer Verschwommenheit, reduziert sich auf Grau und manchmal bis hin zu Schwarz.
Diese Bilder, nunmehr produziert aufgrund von emotional verzerrten Einschätzungen und negativ verfremdeten Vorstellungen, liefern brauchbares Material für Horror-Szenen wie aus einem Science-Fiction-Film. Ein Bild wird an das andere gefügt. So entsteht eine Art Film, der sich zu einem Selbstläufer entwickelt und auf dem Weg permanent selbst verstärkt. Dass diese Bilder und „Filme“ unrealistisch eingefärbt und übermalt sein könnten, ist für die produzierende Person selbstverständlich ausgeschlossen. Es ist nun mal ihre Überzeugung von Wirklichkeit und ihre unumstößliche Sicht der Dinge mit den jeweiligen Bauteilen und Zutaten. Da fließen viele ungute Emotionen vermischt mit heftigen Reaktionen auf Versuche des Einlenkens wie Kaskaden ineinander.
Ein von außen kommender Druck konzentriert und verdichtet in solchen situativen Engführungen all das in einem Gesamtpaket von negativen Trittbrettfahrern: Altes Unbewältigtes und Unbearbeitetes von einem selbst taucht wieder auf und/oder eventuell damit Verbundenes oder Erinnerungen an jene, die damit innerhalb des eigenen „Systems“ involviert sind.
In diesem Flaschenhals können sich jetzt jene kollektiven „Familienthemen“, die entlastenderweise bis zur nächsten Familienfeier oder das kommende Weihnachtsfest gut unter den Teppich gekehrt worden waren, und dort bis zu ihrer Auferweckung schlummerten, nun früher als beabsichtigt bemerkbar machen.
Plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchen bislang verdrängte Erinnerungsfetzen von Enttäuschungen, Ärger und Kränkungen wieder auf, die bisher im Dunkeln unter dem Teppich schlummerten. Doch nun, wo wieder Türen und Tore und Räume dafür allmählich oder gar abrupt geöffnet wurden, oder man keine Kraft hatte, sie zuzuhalten, bieten sich Gelegenheiten, alte Rechnungen zu begleichen. Vorstellungen und Bilder werden da plötzlich aus der Erinnerung an die Oberfläche gespült oder es wird für einen legitimierten Angriff etwas „Brauchbares“ in einer lang zurückliegenden Aussage gesucht und gefunden.
Das Fühlen
An das Schwarzsehen und die Negativität sind Gefühle von Angst, Unsicherheit und Scheitern angedockt. Sie begleiten das negative Denken in einem verschworenen Bund wie ein Zwilling, wo keiner ohne den andern sein kann. Negative Emotionen türmen sich zeitweise wie Gewitterwolken auf und beeinträchtigen, ja lähmen in erschreckendem Maße das Wohlbefinden mitsamt den Gefühlen. Sie führen zu Beklemmungen und zeigen sich in körperlichen Reaktionen wie Pulsrasen, erhöhtem Blutdruck, Appetitlosigkeit und nächtlichen Schlafstörungen. Mehr und mehr beeinträchtigen diese Empfindungen die ehemals so stabile Lebensqualität.
Eine vormals gute Konzentration und Gedächtnisleistung wird mehr und mehr durch die Ausschüttung von Stresshormonen beeinträchtigt und bleibt nunmehr um Längen hinter der sonstigen Leistung zurück. Der Weg wird tief gebahnt für Grübeleien und negative Gedankenmuster mitsamt den anhängigen Bildern und den ihnen zugehörigen Gefühlen aus alten Geschichten und Erlebnissen vergangener Zeiten. Wie mit Fahrten auf einer Achterbahn und einem Flatrate-Ticket ohne Zeitlimit geht es für das Fühlen und die Gedankenbilder in Schleifen auf und ab, bis diese hoffentlich – durch wen, was oder wie auch immer – unterbrochen werden.
Christa H. Herold, Psychologische Beraterin, ist in eigener Praxis in der systemisch-lösungsfokussierten Beratung, Therapie und Supervision tätig. Darüber hinaus ist sie geprüfte Schriftpsychologin, Burn-out-Beraterin und zertifizierte Mediatorin.